Kapitel 6 – Die wilden 90er
Ja natürlich gab es auch bei uns die “wilden Jahre”. Das waren für uns die 1990er Jahre. Wir waren jung und wollten die Welt bewegen. Aus diesem Grund war dann ja auch 1986 die Jugend-Showgruppe “Die Lollipops” entstanden. Wir gehörten in diesem Jahrzehnt zu den Stammgästen auf Vereinsfesten im ganzen Umkreis. Für einen 20minütigen Auftritt gab es dann zwischen 100 und 200 D-Mark. Der Aufwand war natürlich zu hoch dafür, aber wir hatten unseren Spaß. Geprägt wurden unsere 90er aber durch ein kleines Wesen, das uns viel, viel Freude bereitete und einfach so bei uns lebte. Unsere kleine Loulou, die bei uns ihr ganzes Leben verbrachte.
Es war eine schöne Zeit. Das ist jedenfalls das, was bei uns Menschen hängen bleibt. Die Zeit war nicht besser, nein, wir speichern nur die schönen Erlebnisse wirklich länger. Natürlich waren wir auch unbeschwerter als heute. Legendär wurden natürlich auch unsere Schlemmer-Einladungen. Damals zeichnete sich eigentlich schon unsere Leidenschaft für ´s Kochen ab. Für eine Geburtstagsfeier standen wir schon mal zwei Tage in der Küche und bereiteten ein Buffet vor. Auf unserem Küchentisch stand dann meistens ein Drittel des Buffets, der Rest verteilte sich auf eine Anrichte und sonstige Abstellmöglichkeiten in der Küche.
Da mein Geburtstag am 18. April ist und manchmal schon in die Nähe des Osterfestes fällt, gab es unsere Buffets dann auch schon mal an so tollen Tagen wie dem Gründonnerstag. Die Gerichte, die für so ein Buffet auf der Liste standen, zeugten dann auch schon von viel Arbeit und Vorbereitung:
Bifteki – Souflaki – Nudelsalat – Kräuter-Soleier – Tee-Eier – Lachsforelle – Frischkäsetörtchen – Griechischer Bauernsalat
Natürlich gab es dazu auch andere Dinge, wie Brötchen, Brote, Baguette, Käse, Wurst, etc.. Und wenn dann damals mal einer losließ, “Mensch, macht das doch beruflich” – dann habe ich nur gelacht und geglaubt, mit Versicherungen mehr Geld verdienen zu können. Das wiederum stimmte zwar, aber glücklich konnte man damit nicht werden. Zwei der Gerichte, die ich hier genannt hatte, möchte ich auch als Rezept weitergeben.
Tee-Eier
Lachsforelle
1993 bereits verwirktlichten wir zum letzten Mal im Rathaussaal in Filsum eine Show mit unseren Lollipops. Es sollte die professionellste werden, die wir je gemacht hatten. Wir liehen uns Bühneneffekte, Beleuchtungen und hochwertige Mikrophon- und Musikanlagen. Sketche wurden geschrieben, ja sogar ein kleines Heimatstück. Wir nannten es “Auf dem Lande”. Es sollte eine Persiflage auf die Bühnenstücke der zahlreichen Theatergruppen um uns herum werden. Doch am Ende deckten wir ungewollt das Prinzip solcher Stücke auf. Wir hatten ja gar keine Ahnung vom Stückeschreiben. Also besorgten wir uns Bücher mit plattdeutschen Witzen und Geschichten. Dann hatten wir die Idee, zunächst eine schallende Pointe zu finden. Diese würde am Schluss des Stückes kommen. Dabei handelte es sich um einen Witz, den wir mit dem ersten Akt begannen und dann Stück für Stück durch das Gesamte Theaterstück verteilten. Dazwischen brachten wir immer wieder kleine, gespielte Witze aus unseren plattdeutschen Büchern. Am Ende hatten tatsächlich Zuschauer eine Handlung in unserem Werk entdeckt – super! Das war jetzt ein bisschen wie bei Harpe Kerkeling mit seinem “Hurz”. Aber diese Sache brachte uns dann darauf, das sehr viele dieser volkstümlichen Stücke auf genau diese Weise entstanden waren. Und so sah es am Anfang des Mini-Dreiakters aus:
Wir legten uns schwer ins Zeug und sparten nicht an außergewöhnlichen Showeinlagen. Hier nur einige wenige:
Das war der teuerste Sketch, den wir jemals aufgeführt hatten. Ivan Rebroff singt Kalinka. Die beiden Damen, die dazu im russischen Stil tanzen sollten benötigten natürlich gefederte Melkschemel. Gar nicht so einfach zu bekommen. Wir zahlten damals bei der Genossenschaft etwa 90 D-Mark für die beiden Hocker. Bärte und Schminke erhöhten den Betrag auf 100 D-Mark für gerade mal 2 Minuten Auftritt.
Modern Talking – die Legende der 80er – durfte nicht fehlen. Unsere Nebelmaschine war an diesem Punkt noch harmlos. Später sah man die Zwei fast nicht mehr. So vernebelte damals das ZDF auch jegliche Auftritte – war wohl so in Mode.
Diese besondere Begegnung haben wir mit Aufwand geplant. Zunächst drehten wir auf dem Geländer der Deutschen Post in Leer einen Film (natürlich mit Genehmigung). Helmut Kohl fuhr von dort mit seinem Trabbi (das war übrigens meiner, er war lila gespritzt) nach Filsum. Vorher wog er sich noch an einer Parkuhr und wunderte sich, schon wieder zugenommen zu haben. Unter Begleitung unseres damaligen örtlichen Polizisten wurder er in Filsum mit Blaulicht zum Rathaus gefahren – und natürlich vor dem Rathaus durchsucht. Man weiß ja nie – und wir waren damals schon auf Sicherheit bedacht. Bis dahin lief der Film im Saal, dann war er persönich im Rathaus. Und als er am Ende mit Agnes zum Hildegard Kneefs “Für mich sollt ´s rote Rosen regnen” und “Eins und eins, das macht zwei” den Walzer tanzte, blieb kein Auge trocken – manchmal auch vor Rührung. Wer den Kohl gespielt hat? Na wer wohl?
Nach zwei Abenden vor ausverkauftem Haus mit standing ovations ging es uns dann wie den Beatles – wir haben nie Schluss gemacht oder uns getrennt, aber wir wussten, es war vorbei! Zwar traten wir immer wieder hier und da auf, feierten 1996 sogar noch mit vielen Einlagen und einer 4-Mann-Band unser 10jähriges Jubiläum im Rathaussaal, jedoch verließen die Lollipops an diesem zweiten Abend der großen Lollipop-Show für immer ihre heimatliche Bühne im Rathaussaal in Filsum.
Wir denken natürlich gerne an die 1990er Jahr zurück. Damals machte mir mein Versicherungsberuf noch Spaß und wir konnten uns einige Urlaube erlauben. Natürlich fuhren jedes Jahr mindestens zweimal nach Chatillon-sur-Loire zu unserem Wohnwagen. Wir erlebten die Bretagne mit Ihren wunderbaren Leckereien. Von Austern bis Eintopf war alles dabei. Nie durften die wunderbaren Galettes fehlen, die in allen Variationen gemacht werden (…das sind Crêps bzw. Pfannkuchen). Eine einfach zuzubereitende Leckerei ist der Far Breton. Eine Art Pflaumenkuchen. Und hier ist das Rezept.
1993 begann die Zeit, in der wir merkten, dass unser Wohnwagen in Chatillon zwar eine tolle Anlaufstelle war, es uns jedoch – immer in Begleitung unserer kleinen Loulou – durch die wunderbaren Landstriche Frankreichs zog. So brachen wir dann also 1996 zu einer Megatour in die Pyrenäen auf. Eine Woche durchkreuzten wir dieses Dach Europas und sahen Landschaften, erlebten die originalen Höhlenmalereien, um dann schließlich durch das Langeoudoc in die Provence zu fahren, unserer großen Liebe. Wir badeten im Mittelmeer, flanierten an der Promenade des Anglais in Nizza und erlebten Cannes sowie Monaco. In Monaco aber geschah etwas, das wir natürlich auf einem Video dokumentiert haben – jedenfalls teilweise. Wir wollten uns den täglichen Wachwechsel vor dem Palast anschauen. Mit uns wollten das so etwa 2.000 Menschen. Alles wartete still und andächtig, bis unsere kleine Loulou von einem lauten Befehlt eines Soldaten genervt war und zu bellen und knurren begann. 2.000 Menschen lachten über sie. Nur ein Wachmann nicht. Wir versuchten alles, um sie zu beruhigen – keine Chance! Da kam der Wachmann und machte uns klar, der Hund hätte jetzt still zu sein, sonst müssten wir hier weg. Ja toll – da stehen wir hier seit einer halben Stunde, um einen guten Platz zu haben, dann sowas. Weitere Versuche Loulou zu beruhigen scheiterten – da setzte die Kapelle ein. Davor hatte Loulou Angst und war ruhig – Schwein gehabt!
Die Jahre gingen dahin und so machten wir ein letztes Mal Urlaub in unserem Wohnwagen. Bekannte von uns wollten direkt im Anschluss an uns dort eine Woche Urlaub machen. In dieser einen Woche, es war 1996, besuchten wir auf der Route Jacques Cœr nicht weniger als 10 Schlösser, durch die wir zum Teil ganz alleine geführt wurden. Ein wunderbares Gefühl bei bestem Loiret-Wetter. Nur ein Problem wurde immer heftiger. Es hieß Günter Bierstädt. Klar, er war ein netter aber bedauernswerter Mensch. Nur in diesem Urlaub ließ er uns auch keine 5 Minuten alleine, wenn wir in Chatillon waren. So fiel dann der Entschluss, den Wohnwagen zu verkaufen. Unsere Bekannten würden das sicher gerne wollen. Als sie in Chatillon ankamen, waren wir noch da und hatten zusammen mit Loulou unsere letzte Nacht in unserem Wohnwagen im geliebten Chatillon verbracht, ohne, dass wir es jemandem gesagt hatten. Wir ließen sie dort mit Günter alleine und als sie wieder zu Hause waren, besuchten wir sie noch am gleichen Tag und verkauften Ihnen den Wagen für 250 D-Mark nebst Zelt und Gasflaschen. Nur zwei Jahre später verkauften sie ihn an den neuen Betreiber des Jugendcamps auf dem Platz, der ihnen 500,– D-Mark dafür gab.
Unser Wohnwagen nach unserer letzten Nacht dort. – Unglaublich, hier hatten wir uns einmal sehr wohgefühlt.
Die alte Freibeuterstadt Saint Malo war Ostern 1996 unser Ziel. Eine Begebenheit darf hier nicht fehlen. Das Hotel befand sich direkt vor dem Strand. Vorgelagert ist eine kleine Insel, auf dem sich das Grab des bretonischen Heimatdichters Chateau Briand befindet. Bei Ebbe konnte man über einen schmalen Gang herüberlaufen, sonst war ein Boot angesagt. Wie immer ging ich mit Loulou morgens Gassi. Es war unser Abreisetag. Es war zwar auflaufendes Wasser, jeoch war der Gang noch frei. Also wollte ich Loulou dort rüber gehen. Da sie nicht wollte, bückte ich mich und nahm sie auf den Arm. Als ich mich dann umdrehte, traute ich meinen Augen nicht. Der kleine Weg hinüber war bereits überspült. Nun ja, das Wasser läuft hier mit 30km/h auf. Unsere kleine Loulou hatte mich vor einer großen Dummheit bewahrt.
Es gab natürlich auch noch eine andere Geschichte, nämlich eine vom Essen. Wir hatten ein Hotel innerhalb der Festung. Dort war es nicht leicht ein Zimmer zu bekommen und es war im Allgemeinen üblich, wenigstens Halbpension zu buchen. Am ersten Abend kamen wir gegen 19.30 Uhr ins Restaurant und waren die ersten. Neben dem Besteck lagen Haken und Ösen, die einem Zahnarztbesteck gleich kamen, Wir hatten das schon mal bei jemandem gesehen, der einen Hummer aß. Doch wir bekamen ein Tier aufgetischt, das zwar auch nach dem Kochen rot wie ein Hummer war, jedoch war es eine Seespinne. Keine Ahnung wie, man soetwas essen muss. Wir versuchten uns mit dem ein oder anderem Werkzeug, um schließlich die Beine wie beim Hummer aufzubrechen und das weiße Muskelfleisch herauszuziehen. Als dann weitere Gäste kamen, beobachteten wir, dass die das auch so machten. Heute wissen wir, die wussten es auch nicht und haben es uns nachgemacht. Als es am letzten Abend Austern gab, die auf Seetang lagen (wird als Polsterung und Deko gemacht), aß nebenan ein junger Mann auch wohl zum ersten Mal soetwas. Nach den wunderbaren Austern knabberte er nämlich einfach den weniger angenehmen Seetang weg. Ja – so kann das gehn, wenn man es mit Halbpension versucht.
1997 zog es uns dann erstmalig für zwei Wochen in die Normandie und die Bretagne. Wir hatten fast nur bestes Wetter und genossen die herrliche Gegend. Zunächst war selbstverständlich wieder der D-Day angesagt. Dieses Mal eroberten wir die Landungsküste und schauten uns alles an, war wir noch nicht gesehen hatten. Wir vergaßen dabei nicht, auch die wunderbaren Spezialitäten zu kosten. Auch eine Calvados-Brennerei besichtigten wir. Und – wir aßen im Gasthaus, dem Lokal, das wir schon öfter im Fernsehen gesehen hatten. Johannes Börner war der Gastwirt. Er hatte nach dem Krieg hier geheiratet und war hier geblieben. Er stammte aus Sachsen, das war nicht zu überhören. Wir sprachen ihn an und fortan erzählte er uns während unseres gesamten Aufenthalts in dem Restaurant vom D-Day. Es war beeindruckend das alles von einem Zeitzeugen zu hören. Ich traute mich hier übrigens das erste Mal an Austern heran und war begeistert. Agnes zögerte noch etwas aber schon beim nächsten Essen war sie auch Fan dieser Muschel.
Danach gingen wir wieder an den Strand. Loulou liebte das. Jetzt, wo sie älter geworden war, konnte sie natürlich auch ohne Leine laufen. Ihr gefiel das und sie relaxte gerne dort.
Als wir die Normandie verließen und in die Bretagne aufbrachen, hatten wir schon eine Woche nur die tollsten Fischspezialitäten gegessen. In der Bretagne erwartete uns nun eine andere Welt. Schon die Namen der Dörfer und Städte ließen vermuten, dass Asterix gleich um die Ecke kommen würde. Die Landschaft, Küste und Geschichte war einfach nur beeindruckend.
Es führte kein Weg am westlichsten Punkt des europäischen Festlandes vorbei. Loulou nutzte die Gelegenheit dort natürlich, um noch einen schönen Haufen zu legen. Dann gab es natürlich auf fast jedem Kilometer diese uralten Kalvarien. Das sind steinerne Geschichten. Man hat den Menschen, die ja meist des Lesens nicht mächtig waren, damit Geschichten erzählt. Ebenso findet man immer wieder kleine und große Bäckereien, die die bretonischen Spezialitäten backen. Allem voran der bretonische Keks mit viel Butter. Sobald man aus den Ortschaften und Städten herausfährt, wird man zwangsläufig den Megalithen begegnen, die überall verstreut sind. Nicht zuletzt will man natürlich den sagenumwobenen Zauberer Merlin für sich behalten. Im Mirrroire des Fees, einem kleinen Bergsee, soll sein Grab sein. Sobald man den steilen Hang heruntergestiegen ist, bemerkt man den Zauber in dieser unwirklichen Welt. Langsam steigen kleine Blasen aus dem See. Das sollen in Wirklichkeit nur kleine Schlammkügelchen sein, die durch die Erschütterung im Moorgebiet ein weinig aufgewirbelt werden, wodurch diese Bläschen entstehen.
Nach wunderbaren 14 Tagen in dieser Gegend, in der wir es so geschätzt hatten, die frischen Meeresfrüchte zu essen, fuhren wir zurück. Wir wollten durch das Loiretal nach Chatillon fahren, denn dort wollten wir noch unsere Bekannten in unserem alten Wohnwagen besuchen. Dafür hatten wir aber noch eine Zwischenübernachtung in der Nähe von Angers eingeplant. In einem ehemaligen Schloss, also eigentlich in der Orangerie, hatten wir ein Zimmer gebucht. Als wir das Anwesen fanden, fuhren wir minutenlang durch einen Schlosspark, vorbei an einer verwunschenen Schlossruine, die in den 1930er Jahren abgebrannt war und so belassen wurde, bis wir endlich an der Orangerie ankamen. Der Schlossherr, ein gebürtiger Luxemburger, der gut deutsch sprach, begrüßte uns zusammen mit seiner Frau. Für Loulou galt ab sofort nicht mehr der Leinenzwang, sondern ein Leinenverbot. Schnell hatte sie das verstanden und war der Boss, denn die beiden heimischen Hund hatten nun nichts mehr zu sagen. Der Schlossherr bergrüßte uns auch mit einer negativ klingenden Botschaft, denn man hatte das von uns gebuchte Zimmer vermietet. Dafür wolle man uns aber in der Suite einquartieren, was wir ohne Zögern annahmen.
Essen konnten wir im Schloss nicht und nachdem wir Mittags bereits in Angers in einem amerikanischen Restaurant Burger gegessen hatten, wollten wir gar nicht viel essen. Also fuhren wir los und fanden ein unscheinbares Restaurant direkt an der Nationalstrasse. Alles war sehr alt und einfach, aber man gab sich alle Mühe und war sehr nett zu uns. Eigentlich war das Essen super, doch leider hatten wir uns Nierenragout bestellt. Loulou wunderte sich zunächst, dass wir Ihr Futter bekamen, freute sich dann aber umso mehr über die ihr zugeteilten Happen. Nun ja – lange Rede, kurzer Sinn. Nach zwei Wochen Fisch waren ein Burger am Mittag und Nieren am Abend zuviel. Agnes Magen schaffte das so nicht und sie hatte auch am nächsten Tag noch ausreichend Zeit für unser Himmelbett. Die enorme Ruhe im Schlosspark, die schon fast unheimlich erschien, hatte aber heilende Wirkung.
Am Abend des zweiten Tages verkniffen wir es uns, essen zu gehen. Wir holten uns ein paar Leckereien aus der Stadt und genossen diese bei einem Fläschchen Rotwein in unserer Suite. In der Dämmerung trat ich noch eimal heraus auf den Balkon, genoss die Ruhe und den Ausblick auf den Schlossgarten mit seinen Pfauen. Es hatte auch alles etwas Unheimliches. Weil das hier erinnerte doch an den einen oder anderen Gruselfilm oder auch an Edgar Wallace. Es wäre dann für mich nicht mehr so überraschend gewesen, wenn jetzt gerade der Gärtner mit einer Leiche in der Schubkarre vorbei gelaufen wäre. Am nächsten Morgen genossen wir im großen Saal der Orangerie in wirklich historischem Ambiente noch einmal das Frühstück, das der Schlossherr selbst servierte. Dann verabschiedeten wir uns von hier. Zwar meinten wir damals, das wir wiederkämen, doch soetwas sollte man sich nicht damit kaputt machen, dass man es zu wiederholen versucht.
Wir fuhren jetzt auf Chatillon zu. Ich hatte ausgerechnet (ja! wirklich ich hatte es ausgerechnet, denn ein Navi gab ´s noch nicht in unserem Auto), dass wir so gegen 14.00 Uhr auf dem Campingplatz in Chatillon sein würden. Wir waren mit unseren Bekannten, aber auch mit Jean und Bernadette verabredet. Als wir dort ankam empfing man uns wie immer mit offenen Armen. Unser ehemaliger Wohnwagen stand direkt vorne an der Schleuse. Im Wohnwagen sah es aus wie unter dem Sofa. Man hatte sich behelfen müssen, denn das Zelt hatte dem Gewittersturm, der vor ein paar Tagen hier durchzog, nicht standgehalten. Wir hingegen merkten dadurch, dass wir in einer neuen Zeit des Urlaubmachens angekommen waren. Wir hatten zwei Wochen in Hotels gewohnt, mussten nie abwaschen und hatten witziger Weise sogar weniger Geld benötigt, als für einen Campingurlaub. Also schlossen wir bei einem kleinen Drink – oder wie Jean in seiner Halb+Halb-Sprache sagen würde mit einem “petit trink” – mit der Camping-Ära ab. Danach fuhren wir ein kleines Stückchen weiter heimwärts, nämlich bis ins 60km entfernte Montargis, wo wir die letzte Nacht in einem Etappenhotel verbrachten.
Der Tag an dem Diana starb
Wir schrieben den 31.08.1997. Ein wunderbarer Urlaub lag hinter uns. Früh morgens weckten uns die Sonnenstrahlen, die sich schnell wieder zu einer ziemlichen Hitze entwickelten. Ich stand auf, machte mich im Bad fertig, um dann den morgendlichen Gang mit Loulou zu machen. Als ich wiederkam, stand Agnes bereits unter der Dusche. Im Fernseher lief CNN mit “Breaking News”. Zunächst nahm ich das gar nicht richtig war, bis ich unten im Laufband sah, dass Diana in Paris einen Unfall hatte und offensichtlich Ihren schweren Verletzungen erlegen war. WOMM! Das war nur etwa 100km von hier entfernt. Wir wollten an diesem Tag noch nach Paris, da wir in wenigen Wochen mit meinen Eltern dort hin fahren würden. Nur mal auf dem Weg nach Hause das Hotel ansehen und dann noch das Stade de France anschauen, das im kommenden Jahr das Hauptstadion für die WM in Frankreich sein sollte. Zunächst wollten wir uns die Unfallstelle nicht ansehen, rangen uns dann aber doch durch. Am Eingang des Tunnels war der erste Einschlag des Autos zu sehen, ein schwarzer Streifen – alles gerade Strecke. So konnten wir und ein eigenes Bild machen. Da war nicht alles mit rechten Dingen zugegangen. Aber das alles sollte ja nicht ans Tageslicht kommen und wird es auch wohl nie.
Als wir an diesem Tag dort waren, lagen vereinzelt ein paar Blumen da, der Unfall war ja gerade einmal zwölf Stunden her. Wenige Leute fanden den Weg hierher, aber ganz Paris wimmelte von Fernseh-Übertragungswagen aus der ganzen Welt. Als wir drei Wochen später wieder mit meinen Eltern hier waren, war alles eine große Gedenkstätte und der Ort gehörte zu jeder Rundfahrt. Während wir im Café gegenüber saßen, kam ein Taxi herangerauscht, zwei Japanerinnen stiegen aus, legten rote Rosen nieder und fotografierten sich gegenseitig lächelnd vor der Unfallstelle. Und weg waren sie wieder. Na ja – wer ´s mag.
Im Jahr 1999 hatte unsere kleine Loulou einen Bandscheibenvorfall. Das arme kleine Ding musste wirklich Schmerzen aushalten, jedoch konnte man ihr helfen. Den ganzen Sommer durch waren wir zweimal die Woche mit ihr beim Tierarzt. Ihr Bandscheibenvorfall wurde mit Akupunktur geheilt. Danach war sie wieder ganz die Alte.
Dann hielt auch das Internet bei uns Einzug. Gleichzeitig begann ein Boom beim Fliegen. Die Preise wurden erschwinglicher und wir buchten erstmalig einen Flug über das Internet. Wir wollten mit British Midland von Amsterdam nach London fliegen. Durch Vergleiche im Internet fanden wir heraus, dass das die billigste Möglichkeit war. Man muss sich das vorstellen: damals bekam man nach Eingang der Zahlung die Flugtickets noch per Post zugeschickt. Heute checkt man sogar online ein und braucht nur noch sein Smartphone. Das Internet lässt sich wirklich positiv nutzen. Das stellten wir schon bei dieser Reise fest.
Diese Reise fand zwei Wochen vor Weihnachten statt. Also hatten wir bei unseren Besichtigungen unbedingt das Tageslicht zu berücksichtigen. Also planten und buchten wir Besichtigungen akribisch, um möglichst viel zu sehen. Das gelang auch hervorragend. Jedoch, wie sollte wir das alles in unserem Gehirn abspeichern, was wir dort gesehen hatten. Dafür kam mir die Idee, von jedem Jahr ein Tagebuch über unsere Reisen und besonderen Ereignisse zu führen. Nicht alles existiert davon noch digital, aber ausgedruckt reißt es uns so manches Mal dazu hin, den Ordner aus dem Regal zu holen und noch einmal zu erleben, was wir damals erlebt haben.
Was wir so in London erlebten und wie wir das Ende des Jahrhunderts in einem Hotelzimmer in Holland erlebten, davon erzähle ich in der nächsten Woche.