Autor: Andree Meyer
Kapitel 1 – So fing alles an
Es ist nicht immer einfach, zu verstehen, warum Leute gerade so sind, wie sie sind. Das ist bei allen Menschen so. Natürlich auch bei uns. Aber woher kommt unsere Vorliebe zu Frankreich und Belgien? Warum mögen wir aber auch Länder wie die Niederlande, Spanien oder Italien, Österreich, Tschechien oder aber die Vielfalt der deutschen Bundesländer? Natürlich hat das viel mit Essen zu tun, aber auch mit der Lebensweise der jeweiligen Bewohner. In der Autobiographie “Aux bords de la Loire” – An den Ufern der Loire, versuche ich festzuhalten, was unser Leben entscheidend beeinflusst hat. Und wer glaubt, dass jetzt der gesamte Blog in Frankreich spielt, der irrt! Unsere Geschichte beginnt 1979 in Amsterdam und wird irgendwann, wenn sie erzählt ist, sehr italienisch enden!
Unsere erste gemeinsame Reise
Wir schreiben den 20. April 1979. Es ist noch nicht einmal 6.00 Uhr und wir machen uns auf zu einer Reise mit anderen Teilnehmern vom Filsumer Jugendkreis der Kirchengemeinde. Wir waren nur eine kleine Gruppe. Mit dem damaligen Pastor Loest waren wir insgesamt nur 6 Leute. Also fuhren wir mit zwei Pkws. Dabei achteten wir natürlich darauf, dass wir nicht getrennt fuhren – zusammen waren wir ja noch nicht – war alles nur ein Flirt bis dahin. Also los. Ein Wochenende in Amsterdam lag vor uns. Amsterdam war damals für unsere Verhältnisse schon sehr exotisch. Es gab noch eine richtige Grenze und in den Niederlanden kannte man schon die Sommerzeit. In Amsterdam selbst lebten noch immer die letzten Hippies auf nicht gemeldeten Hausbooten oder einfach so in der Stadt. Drogenhändler verkauften problemlos Ihre Ware auf offener Strasse. Dennoch hatte Amsterdam noch etwas vom Charme längst vergangener Tage. Diese vielen holländischen Klischees vom Fahrrad bis zu den Tulpen, aber auch die Atmosphäre einer alten, sehr bedeutenden Handelsstadt. Alles war hier zu finden.
Und als wir nach fast 10 Stunden Fahrt am südlichen Ijselmeer vorbei quer durch Amsterdam bis in die Altstadt, wo wir in einem Jugendhotel wohnen sollten, vorgedrungen waren, riss dem zweiten Fahrzeug hinter uns, einem alten Ford 17M, in dem die Anderen saßen, der Gaszug. Wie wir kurz vor Feierabend noch eine Ford-Werkstatt fanden – übrigens ohne Navi, die auch noch ein Original-Ersatzteil hatte, das vermag ich nicht zu sagen. Auf jeden Fall war es kein Problem für unseren gelernten Kfz-Mechaniker, den Gaszug einzubauen. Das Auto fuhr wieder – bis zur ältesten und bekanntesten Brücke von Amsterdam, der Mageren Brug.
Die magere Brug
Man sagt dieser Brücke nach, dass Verliebte, die darüber gehen, für immer zusammen bleiben. Bei uns hat das funktioniert. Das gilt aber wohl nicht für Autos. Genau hier schaffte es unser Kfz-Spezialist, die Kupplung derartig schleifen zu lassen, dass die Kupplungsscheibe durchbrannte. Also wieder zur Ford-Werkstatt. Die hatte Samstag zu und wollte uns schon gar nicht alleine arbeiten lassen. Auch hier hatte unser Pastor den richtigen Draht und wir durften am nächsten Tag dort das Auto reparieren. Wir ließen es gleich da und liefen die wenigen Meter bis zum Jugendhotel zu Fuß. Wir waren nämlich seit Stunden immer im Kreis gefahren und hatten es übersehen. Als wir dort eintraten, war alles plötzlich ganz anders. Ruhe – und immer dieses Lied, was wir hier das ganze Wochenende hörten, wenn wir gerade herein kamen: das israelische Grand Prix-Siegerlied Hallelujah von Milk and Honey.
Wir bezogen unsere Zimmer. Die Frauen in ein großes Gemeinschaftszimmer, zwei Männer in eine außenliegende Baracke mit einem großen Doppelzimmer – und ich alleine in so ein Barrackenzimmer, das dann unser Treffpunkt wurde. Wir trafen uns schnell und wollten in die Stadt gehen. Unterwegs noch schnell in einer Snackbar ein tolles Sandwich und dann in der Dämmerung die obligatorische Grachten-Rundfahrt. International das Publikum und was macht unser Pastor? Er spricht eine neben uns sitzende Gruppe junger Leute in bestem bayerischen Englisch mit den Worten an: “From welchen Land kommen Sie?”. Die haben den Quatsch zwar nicht verstanden, haben aber genauso gelacht wie wir. Wir waren alle ziemlich müde. Mir stand am nächsten Tag meine erste Kupplungsreparatur bevor. Und das in Amsterdam. Ich hätte wirklich lieber Rembrandts Nachtwache gesehen. Aber für den Abend hatte ich einen kessen Plan!
Nachdem alle anderen auf den Zimmern verschwunden waren und unser Pastor noch eine kleine Foto-Tour machte, schaffte ich es, all meinen Mut zusammen zu nehmen und Agnes zum chinesischen Essen einzuladen. Die willigte ein und wir brauchten nur noch ein Lokal zu finden. In Amsterdam wimmelt es von chinesischen Restaurants – nicht aber, wenn man eins sucht. So wurde aus dem Chinesen ein Italiener und eine wirklich frisch gemachte Pizza. Wir waren aber schon ziemlich müde und hatten noch fast drei Stunden Zeit, bevor das Jugendhotel schließen würde. Nachdem zwei unserer Versuche, das Jugendhotel zu erreichen, fehl geschlagen waren und wir immer wieder vor dem Rijksmuseum standen, erkannten wir aber, das wir uns verlaufen hatten. Ein Taxi, das wir anhielten brachte uns an den falschen Ort und da war es plötzlich zu spät. Bei leichtem Nieselregen tasteten wir uns dann durch das nächtliche Amsterdam, um gegen 3.30 Uhr beim Jugendhotel anzukommen. Das war zu und klingeln wollten wir nicht. Also warteten wir vier Stunden, bis es öffnete. Es war schon schön, die aufgehende Frühlingssonne über den Amsteramer Grachten zu sehen. Viele Fotografen waren unterwegs. Wir jedoch hatten nur noch ein Ziel: unerkannt zurück ins Zimmer. Das schafften wir auch, jedoch war die Nacht zuende bevor sie anfing, da es schon bei mir an die Tür klopfte. Was soll ich sagen? Ich musste noch das Auto reparieren und hielt es irgendwie durch. Agnes sah zwar Rembrandts Nachtwache doppelt vor Müdigkeit, dennoch überstanden wir den Tag und die Rückfahrt am nächsten Tag. Essen gab ´s auch: in einem chinesischen Restaurant in Leeuwarden!
Als wir zu Hause ankamen, waren unsere Eltern schon in größter Sorge – wir hatten völlig vergessen, einmal dort anzurufen. Nun, Handys gab es noch nicht und wir waren auch viel zu beschäftigt. Eine Woche nach dieser Fahrt feierte ich meinen Geburtstag nach. Agnes war dabei – von nun an immer! Wir hatten zugleich eine gemeinsame Leidenschaft entdeckt: das Reisen. Beide waren wir 1962 in Leer geboren, beide waren im sicher schönen, aber doch recht abseits liegenden Ostfriesland aufgewachsen. Daher wollten wir jetzt die Welt mit all Ihren Schönheiten entdecken.
In den nächsten Jahren machten wir dann die eine oder andere interessante Entdeckung, die stets mit Essen zu tun hatte. Oft gingen wir in Lokalen essen, waren begeistert oder auch einmal schockiert. In Amsterdam waren wir auch wieder – einmal jedes Jahr. Dabei sahen wir sehr gut, wie sich die Stadt veränderte. Zwei Jahre später verlobten wir uns. Meine Ur-Oma, die, so glaube ich, hatte mit dem Sterbern gewartet, bis wir verlobt waren. Sie lag im Sterben, fühlte, weil sie nicht mehr sehen konnte, unsere Ringe und ich sah sie zum ersten Mal in meinem Leben lächeln. Das hatte der Krieg und die Flucht aus Ostpreußen ihr genommen. Zwei Tage später starb sie. Unser “offizielles” Verlobungsfoto hat sie leider nicht mehr gesehen.
Etwas mehr als 4 Jahre nach der ersten Amsterdam-Reise feierten wir unsere Hochzeit – sehr klassisch mit einer Feier im Rathaussaal, nur das Essen war nicht unbedingt der Klassiker für Hochzeiten: Snirtje-Braten. Diese Feier hätte heute sicher ganz anders ausgesehen, aber damals war das eben so – es machten ja alle so.
Kapitel 2 folgt nächste Woche – dann mit der Rettung eines Spanferkels, der Plünderung einer Käseplatte und natürlich immer wieder mit schönen alten Fotos!